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Asynästhesie: Synästhesie zum Nacherleben

2485 Wörter

In diesem Beitrag zeige ich Beispiele auf, die Menschen, die diese ungewöhnlichen Verschaltungen im Kopf nicht kennen, thematisch etwas greifbarer und somit nachvollziehbarer machen können.

Asynästhesie

Das Wort habe ich ins Leben gerufen und bedeutet ja nichts anderes als „nicht synästhetisch“.
Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass nicht jede Synästhesie eben als solche erkannt wird.
Empathisch zu sein, ist uns als soziales Lebewesen zum Beispiel in die Wiege gelegt. Diese Ebene ist neuronal also offenbar eher verkümmert.
Ich nehme daher an, wie nachfolgend auch noch offensichtlicher wird, dass wir aufgrund der Neuroplastizität des Gehirns solche Verschaltungen durchaus erwerben können, bzw. diese bereits in uns schlummern und wieder aktiv einschaltbar sind.

Nicht nur bei Joel Salinas, sondern auch bei Daphne Maurer fand ich Aussagen dazu, dass Babies noch synästhetisch wahrnehmen.
Wie Dr. Michelle Haintz in ihren Büchern es schon sagt: use it or lose it.

Angeborene & Erworbene Synästhesie

Dazu folgender Auszug von Oliver Sacks aus dem Buch „Der einarmige Pianist“:

„Es bedeutet natürlich einen enormen Unterschied, ob wir eine solche Verfassung später im Leben erwerben oder mit ihr geboren werden. Für Lusseyran, der sie im mittleren Kindesalter erwarb, war die Farb-Musik-Synästhesie, so schön sie auch war, ein aufdringliches Phänomen, das ihn am Musikgenuss hinderte. Doch wer mit der Farb-Musik-Synästhesie geboren wird, befindet sich in einer anderen Situation.
Die Einstellungen der Betroffenen zu angeborener Synästhesie – hinsichtlich der Bedeutung, die sie für sie hat, und der Rolle, die sie in ihrem Leben spielt – sind höchst unterschiedlich. Das zeigt sich sogar in der kleinen Stichprobe der Menschen, die ich beschrieben habe. Obwohl Michael Torke eine sehr starke und spezifische musikalische Synästhesie hat, die früher sowohl sein Musikempfinden als auch seine Kompositionen beeinflusste, ist er im Laufe der Zeit zu der Auffassung gelangt, dass sie «keine große Sache» ist. David Caldwell und Patrick Ehlen dagegen denken, dass ihre Synästhesie auch weiterhin entscheidend für ihre musikalische Identität und höchst aktiv an ihrer kompositorischen Arbeit beteiligt sei. Doch für sie alle ist die Synästhesie ganz natürlich, fast ein zusätzlicher Sinn – so sehr, dass Fragen wie «Was ist das für ein Gefühl?» oder «Was bedeutet es Ihnen?» sich so wenig beantworten lassen wie «Was ist es für ein Gefühl zu leben? Wie ist es, Sie zu sein?».“

Auf dieser Seite wird hingegen behauptet, dass Synästhesie nicht erlernbar ist.

Ich denke, wir wissen zu wenig über die Fähigkeiten des Gehirns, um generell auszuschließen, was es kann und was es nicht kann, weswegen ich es an dieser Stelle erst einmal offen halte und sich jeder dazu seine Gedanken machen darf. 🙃

Eckdaten, merkmale, ablauf

Laut dieser Liste haben wir es aktuell mit über 75 Formen zu tun.

Durch eine erhöhte Vernetzung sind sie oftmals:

  • sehr kreativ
  • haben ein gutes Gedächtnis
  • können sich besser Dinge vorstellen, in Bildern denken
  • nehmen Details genauer wahr
  • besitzen sensiblere Sinnesempfindungen
  • verfügen über deutlich erhöhte Empathie

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass durch die stärkere neuronale Aktivität und der daraus resultierenden Sensibilität eben auch starke Gefühle eine Rolle spielen, die aufgrund der vermehrten limbischen Aktivierung entsprechend individuell in Erscheinung treten.

Somit ist nachvollziehbar, dass Synästhesien durchaus als sehr angenehm und zu sich zugehörig beschrieben werden, jedoch andernfalls Reaktionen auf unangenehme, angstbesetzte Reize nicht unbedingt als „erfüllend“ erfahren werden.

Wie läuft Synästhesie ab?

Bei der Synästhesie trifft folgendes ein:

  1. Es gibt einen Auslöser
  2. Die Reaktion tritt unwillkürlich auf, kann aber durch Fokussierung zeitweise kontrolliert werden
  3. Dabei handelt es sich um „normale“ Wahrnehmungen, Gedanken, Formen, Ideen, usw. (siehe auch Ideästhesie)
„Mirror Touch“

An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich bisher im englischsprachigen Raum noch niemanden von „Mirror Emotion“ habe sprechen hören.

Hier wird diese Trennung offenbar nicht vorgenommen. Die DSG (Deutsche Synästhesie Gesellschaft) unterscheidet aber durchaus zwischen der Wahrnehmung von Stimmungen anderer und Aktivitäten/Schmerzen, die gespiegelt werden können.

Ich möchte euch an dieser Stelle mit Annelis bekannt machen, die ihre Mirror Touch Synästhesie sehr humorvoll und plastisch herüberbringt. Ihr Auslöser ist ebenfalls erfahrener Schmerz.

 

Wie ist das bei mir im Vergleich zu Annelis?

Auslöser 1:

Situationen, die „vor mir passieren“ und/oder plastisch beschrieben werden. Dabei handelt es sich oft und überwiegend um „dramatische Verletzungen.“

unwillkürliche Reaktion 1:

Es gibt den Unterschied, dass mir bei für mich extremen Triggern nicht heiß wird, sondern kalt. Schwitzen tue ich auch, aber es ist eben eher der kalte Schweiß, der bei mir ausbrechen kann.
Das kommt auf das an, was ich erlebe und wie ich es erlebe.

Nun beobachtet sich niemand die ganze Zeit selbst, aber ich habe schon überaus mitfühlend auf Schmerz reagiert, wenn ich ihn bei anderen mitbekam und das schon als kleines Kind.

Der schlimmste Fall, der auftreten kann, wie schon in anderen Beiträgen erwähnt, sind Ohnmachtsanfälle. Das ist nicht unbedingt angenehm, weder für mich, noch mein Umfeld, daher muss ich eben sehr gut einschätzen, was mich erwarten kann. Ich bin daher sehr froh, wenn ich ohne lange Erklärungen einfach die Situation verlassen kann.

Auslöser 2:

Eine konkrete bereits zugezogene Verletzung, von der ich erfahre, was eher in die Richtung von Joel Salinas geht, der ja auch fühlen kann, wenn jemand ein eingegipstes Bein hat.

unwillkürliche Reaktion 2:

Ich kann den Schmerz „kopieren“ und für mich körperlich erfahrbar machen, so wie Annelis es auch beschrieb.

Dazu hatte ich vor längerer Zeit einen Traum, der mir das schon so angezeigt hat.

So bewusst war mir das nämlich vorher gar nicht, was aus meiner Sicht daran liegt, dass ich selten mit verletzten oder eingeschränkten Menschen zu tun habe/hatte.

Weiterhin macht man es ja auch unbewusst und denkt sich dann eh nicht so viel dabei.

Die folgerichtige Nebenwirkung:
Man hält sich von möglichst viel explizit in Szene gesetzter Gewalt fern, da es schwer fällt im Vorhinein Trigger abzuschätzen.

Ich lese auch immer wieder, wie hier auf reddit, dass viele Synästhesten, ähnlich wie ich auch, Ängste haben, wenn es um die „Beschädigung des Körpers“ geht. Das scheint, wie weiter oben schon erwähnt, sehr Hand in Hand zu gehen, obgleich ich nicht sagen würde, dass jeder MTS (Mirror Touch Synästhet) auch Phobien und ähnliches haben muss.

Das mit dem „Beobachten“ von Schmerzen ist für mich auch so eine Sache, wie schon an anderer Stelle bemerkt.
Auch hier habe ich schon von Menschen gelesen, die Gewalt optisch „gut vertragen“, aber die dazu gehörigen Geräusche wie bsp. bei brechenden Knochen schlecht verarbeiten.

Dazu auch noch einmal folgende Aussage von synaesthesie.org:

Oft werden auch Geschmacksrichtungen, Gerüche, oder Körperempfindungen, wie z.B. Schmerz durch eine synästhetische visuelle Empfindung begleitet.

Tipp:

Sätze, die man bei einem Mirror Touch Synästheten nicht sagen sollte:

  • Es ist doch nur ein Film.
  • Das Kind/der Mensch ist zu sensibel.
  • Man sieht doch gar nichts!
  • Stell dich mal nicht so an bei dem bisschen Blut.
  • Wie kann man sich nur so haben?!

„use it or lose it“

Es ist denkbar, dass ich es im Laufe meines Lebens bis zu einem gewissen Grad reduziert habe, damit es mich eben nicht zu stark einschränkt. Auch hier habe ich eine ähnliche Aussage bei Joel Salinas gelesen, der meinte, dass wenn man es zu stark zurückfährt empathielos werden und andererseits zu wenig begrenzt sich in dem Gefühl des anderen verlieren kann.

Es geht also mal wieder um Balance. ⚖️

Ich spiele ja sehr gerne Spiele wie Assassins Creed, in denen natürlich auch getötet wird. Hier geht es wieder darum, was einem konkret gezeigt wird.
In Super Mario wird letzten Endes auch „getötet“ nur ist es eben lustig bunt und spielerisch dargestellt, was aber nichts an der Tatsache ändert. Das dürfte konkret niemandem etwas ausmachen. 😉

Den aktuellsten Assassins Creed Teil Valhalla wollte ich wegen der FSK 18 Einstufung nicht unbedingt spielen, weil ich wusste, dass es dann explizit brutal wird bei der Thematik.

Wer den Trailer ansieht, weiß vielleicht, was ich meine, also Triggeralarm!

 

Dementsprechend motiviert bin ich auch das zu spielen.

Ich habe zwar gelernt, wann ich wegschauen muss, achte auf die Musik, die Dramatik anzeigt und so weiter, aber die dauernde „Hab Acht Stellung“ stresst auch, also mich jedenfalls.

Jeder wird da sicherlich seine individuellen Strategien entwickeln.

der Sinn hinter der verschränkung

Auf der Seite synaesthesie.org finden wir folgenden Satz:

Oft dienen synästhetische Wahrnehmungen unbewusst als Erinnerungshilfe und Orientierung im Alltag. Die Synästhesie kann z.B. bei der Beurteilung von Situationen oder körperlichen Befindlichkeiten (z.B. Einordnung von Schmerzen durch visuelles Empfinden) eine Hilfe sein. Rechtschreibung wird durch eine Ticker-Tape-Synästhesie erleichtert. Zahlenkombinationen können durch eine Graphem-Farb-Synästhesie leichter auswendig gelernt werden. Die zusätzliche Fähigkeit wird von den meisten Synästhet*innen als bereichernd, unverzichtbar und wesentlicher Bestandteil der eigenen Identität empfunden.

Für einen Polysynästheten wie Joel Salinas, der Arzt geworden ist, scheint das durchaus sinnvoll zu sein. Er weiß, wie die Angehörigen sich fühlen und kann den Schmerz von Patienten spüren, ohne dass diese groß mit ihm reden müssen. So kann er sehr behutsam auf Menschen eingehen.

Das würde doch jeder in einer solchen Ausnahmesituation erleben wollen, jemand, der sich in dich einfühlen kann und es nicht, wie oftmals heutzutage leider üblich ist, es nur behauptet.

Es zwingt einen jedenfalls auf die eine oder andere Art wahrzunehmen und entsprechend zu handeln.

Andere Synästhesievarianten

Ich kann aus meiner Erfahrung heraus nicht sagen, dass Mirror Touch und Mirror Emotion die spaßigsten Versionen sind.

Aus diesem Grund möchte ich noch einige andere zeigen, die man auch zum Teil in Filmen abgebildet hat.

Klang-Farb Synästhesie
Geschmack-Farb/Form Synästhesie

 

Geruch-Farbsynästhesie

 

Um den letzten Clip soll es auch noch einmal etwas genauer gehen.

Das Parfum wurde 1985 von Patrick Süskind verfasst und handelt von einem jungen Mörder, der eine Obsession für Gerüche besitzt. Er möchte das beste Parfum der Welt kreieren.

Senior Baldini (Dustin Hoffman) ist fraglos ein Synästhet. Jean Baptiste Grenouille allerdings kann meilenweit riechen und überflügelt ihn um Längen, da für den jungen Mann alles einen eigenen Geruch hat. Er ist ein Bluthund in Menschengestalt könnte man sagen und sieht mit seiner Nase.

Hier noch folgender Auszug, der dazu auf Wikipedia zu finden sind:

Im unmittelbaren Vorfeld dieser Phase erträumt sich Grenouille eine „innere Festung der herrlichsten Duftkompositionen“.[3] Die Synästhesie, die bereits dem Kompositum innewohnt, wird durch „Festung“ noch um den Tastsinn erweitert und zusätzlich kontrastiert durch die Antithese „fest“ – „luftig/leicht“. Ein noch markanteres Beispiel für Synästhesie, auf das Frizen/Spancken verweisen, fällt in Grenouilles (Traum-)Zeit auf dem Plomb du Cantal: „[…] die Düfte verströmten sich weiter und mischten sich in der Bläue der Nacht zu immer phantastischeren Noten. Es stand eine wahre Ballnacht der Düfte bevor mit einem gigantischen Brillantduftfeuerwerk.“[46] Das Kompositum allein enthält nahezu alle Sinneswahrnehmungen: evident sind die optischen, akustischen und olfaktorischen; „B/brillant“ fügt taktile und farbliche hinzu; nur die gustatorischen fehlen.

Nun habe ich nur den Film gesehen, aber mir ist dabei aufgefallen, dass Grenouille immer davon spricht den Duft festhalten zu wollen, was einem feinstofflichen Element eine grobstoffliche Komponente gibt. Auch streicht er über die erste getötete Frau immer wieder mit den Händen hinüber und versucht sowohl mit Nase als auch Händen nach dieser Essenz greifen zu wollen.

Im obigen Auszug wird angedeutet, dass noch mehr Sinne verschränkt sein könnten, was durchaus möglich wäre.

OLP Synästhesie

Auszug aus: John Marrs „The Watchers – Wissen kann tödlich sein.“

„Der Bildschirm wurde von Dutzenden dreidimensionaler Grafiken überflutet, dazu kamen noch Buchstaben, Ziffern und geometrische Formen, alle in grellen Farben, die scheinbar zufällig in alle möglichen Richtungen schossen. Flick setzte sich auf, um einen Überblick zu bekommen, und schaltete dann am Fernseher den Sensor ein, der ihre Blickrichtung verfolgte, sodass sie den Bildschirm durch die Bewegungen ihrer Augen steuern konnte.
Buchstaben und Zahlen, aber auch die Namen der Monate hatten sich in ihrem Kopf schon immer zu geordneten Abfolgen zusammengefügt, die ein ganz bestimmtes Aussehen annehmen konnten und ihren je eigenen Charakter hatten. »Es handelt sich dabei um eine Form der Synästhesie namens Ordinal-linguistische Personifikation«, hatte ein Psychiater Flicks verunsicherten Eltern erklärt, als sie neun Jahre alt gewesen war. Er versicherte ihnen, dass es sich keineswegs um eine geistige Störung handelte, wenn Flick erzählte, dass sie bei dem Gedanken an die Zahl Neun eine rothaarige Frau vor sich sah oder dass der März für sie ein introvertierter Teenager mit einer Wollmütze war. »Duke Ellington, Marilyn Monroe, Kanye West oder auch Stevie Wonder, das sind alles Synästhetiker gewesen«, hatte der Psychiater noch hinzugefügt.
In weniger als einer Minute hatte sie alle Elemente in eine Ordnung gebracht, sodass sie eine Kugel bildeten, auf der nun einzelne Worte zu lesen waren und die von bestimmten Mustern überzogen war.“

OLP klingt auch extrem spannend und ist eine der noch recht häufig vorkommenden Sysnästhesieformen.

Das soll als Eindruck in die Wunderwelt der Sinnesverschränkungen an sich erst einmal genügen. Es ist ein wahnsinnig spannendes und erstaunliches Feld. 😃

In den Links unter dem Artikel könnt ihr bei Interesse noch mehr finden.

Randbemerkung: Aphantasie & Synästhesie

Seit ich von diesen beiden neuronalen Phänomenen weiß und ich erforsche sie, wie man an meinen Blogbeiträgen sehen kann, selbst immer weiter, trage ich mich mit der Frage, wie diese beiden Dinge zusammenpassen.

In einem meiner Träume hörte ich, dass die Aphantasie nicht das Problem, sondern die Lösung sei, was mich zum nachdenken brachte.

Beim Sinnieren kam mir der Einfall, dass es doch plausibel wäre jemandem, der schlimme Bilder sieht und darauf körperlich derart reagiert dem das visuelle Gedächtnis zu nehmen oder besser gesagt zu reduzieren. Es wird nämlich immer sehr leicht davon ausgegangen, dass alles „böse“ ist und schadet, aber ich bin überzeugt von Ursache & Wirkung. Somit hat es für mich automatisch einen Sinn. Nichts passiert einem einfach so aus Langeweile.

Was würde also geschehen, wenn ich dazu ein realistisches Bild im Kopf hätte? Würde ich mich damit nicht selbst triggern?

Fragen über Fragen…

Weitere Links

Allgemein

synnie-info.de
synaesthesie.org

Mirror Touch

Podcast „Invisiblia“ – Entanglement > Mirror Touch

Autorin

Susann
Susann
Schon als Kind war ich verzaubert von der Musik und Technik, die mir erlaubte noch mehr Klänge zu hören.
In der Schule, gerade im Abitur, lernte ich Worte immer mehr zu schätzen und hinterfrage Sprache, Worte und Zeichen aktiv.
Ab 2017 trat dann der Komplex Gesundheit vermehrt in unser Leben.

Primär werde ich zu diesen meine Gedanken kundtun. Mit zunehmender Beschäftigung damit fiel mir auf, dass diese Bereiche nicht so voneinander abgegrenzt sind, wie man vielleicht denken könnte.

Das eine führt zum nächsten und alles verbindet sich.

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